TECHNISCHE DENKMALE

Die Bedeutung der Zeugnisse der technischen Entwicklung und unserer Industriegeschichte wird unterschätzt. Auf der "Fachtagung Technische Denkmale und ihre Bedeutung für die heutige Zeit", die am 10. September 2016 in Bad Nauheim stattfand, verlas Architektin Dipl.-Ing. Gertrudis Peters, Geschäftsführerin der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen ein bemerkenswertes Statement. - Wir bedanken uns herzlich für die Möglichkeit der Veröffentlichung. - 28.09.2016, ONLINE-MUSEUM

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen, 

 

 

vielen Dank für Ihre Einladung zu dieser interessanten Fachtagung. Ich freue mich sehr, bei Ihnen in Bad Nauheim zu Gast zu sein und etwas von dem besonderen Flair dieser Stadt, von ihrer Geschichte und Entwicklung erfahren zu können.

 

Die Tagung widmet sich der Bedeutung technischer Denkmale für die heutige Zeit und rückt damit einen besonderen Gebäudetyp der Industriedenkmalpflege in den Fokus der Betrachtung.

 

Industriebauwerke und technische Anlagen stehen seit über vier Jahrzehnten im Blick der Denkmalpflege. Sie prägen das Gesicht zahlreicher Städte und Regionen, werden aber in ihrer ursprünglichen Bestimmung regelmäßig nicht mehr genutzt.

 

Vielfältige Erfahrungen im Umgang mit den Zeugnissen der Industrie- und Technikgeschichte konnten im Laufe der letzten Jahrzehnte gesammelt werden. So nahmen zwei Internationale Bauausstellungen die Erneuerung alter Industrieregionen in den Blick:

 

1989 rief die Landesregierung in NRW die IBA Emscher Park ins Leben, um der Region zukunftsweisende Impulse zu geben. Ehemalige Industriegebäude wurden zu einzigartigen Veranstaltungsorten und touristischen Zielen. Die Industriekultur ist mittlerweile ein Markenzeichen der Region.

 

Die IBA Fürst Pückler Land ging 1999 in der Niederlausitz an den Start. Sie alle kennen die Bilder der Abraumförderbrücke F 60 in Lichterfeld, die als begehbares Besucherbergwerk und für Kunstaktionen erhalten geblieben ist, um nur ein Objekt herauszugreifen.

 

Sowohl bei der IBA Emscher Park als auch bei der IBA Fürst Pückler Land ist die Umwertung von Orten der Arbeit in Orte der Kultur das treibende Motiv. Die Herangehensweisen reichen von konservierenden Ansätzen bis hin zu einer denkmalgerechten Weiterentwicklung.

 

Die Erfolge, die erreicht wurden, sind sowohl das Resultat staatlicher Strukturförderung in Verbindung mit kulturpolitischen Zielsetzungen – also politischer Wille –, als auch – und dies betrifft insbesondere kleinere Objekte – das Ergebnis eines großen Engagements von Heimat- und anderen ehrenamtlichen Vereinen oder von neuen kreativen privaten und gewerblichen Nutzern.

 

Doch sind diese beachtlichen Erfolge beliebig multiplizierbar?

Was davon ist übertragbar?

 

Die Denkmalpflege sieht sich in der heutigen Zeit immer häufiger konfrontiert mit Abbruchanträgen und der Forderung nach lediglich exemplarischer Erhaltung, insbesondere auch technischer Denkmale. Angesichts der zunehmenden finanziellen und personellen Strukturschwäche der öffentlichen Haushalte, respektive der öffentlichen Hand, liegt der Ruf nach einer noch stärkeren zivilgesellschaftlichen Verankerung des Aufgabenbestands der Denkmalpflege daher auf der Hand.

 

Ich frage mich / Sie: Liegt darin die Lösung?

 

Als Architektin beunruhigt mich der Gedanke, dass die Verantwortung für das baukulturelle Erbe immer weniger als staatlicher Kulturauftrag, sondern zunehmend als private Aufgabe der Zivilgesellschaft definiert wird. In einer globalisierten Welt sind Denkmale und eben auch technischen Denkmale als Zeugnis einer Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte wichtige Identitätsanker einer Stadt, respektive einer Region und damit auch Grundlage für Identifikation.

 

In dem Buch „Die unsichtbaren Städte“ von Italo Calvino fragt sich Marco Polo als Reiseberichterstatter des Tatarenkaisers Kublai Khan: „Warum überhaupt nach Trude kommen? ... Hätte ich bei der Landung in Trude nicht mit großem Buchstaben den Namen der Stadt gelesen, ich hätte geglaubt, auf demselben Flughafen angekommen zu sein, von dem ich abgeflogen war. ...“

 

Selbstverständlich handelt es sich hierbei um eine fiktive Stadt. Doch die Erkenntnis, die ein Bürger Marco Polo mit auf dem Weg gibt, nämlich das die Welt überdeckt ist von einem einzigen Trude, das nicht anfängt und nicht aufhört, sondern nur am Flughafen den Namen wechselt, kommt uns vielleicht bekannt vor, wenn wir uns die Austauschbarkeit und Ähnlichkeit der Shoppingwelten vor Augen halten.

 

Vor diesem Hintergrund bin ich überzeugt, dass es zwar einer konzertierten Kraftanstrengung bedarf, aber lohnenswert ist, sich auch mit technischen Denkmalen näher auseinanderzusetzen und sie nicht zu schnell dem Abriss preiszugeben.

 

Wenn wir uns die Frage nach der Bedeutung technischer Denkmale stellen, dann sind mögliche Antworten sehr davon abhängig, welche Perspektive wir einnehmen.

 

- Für den Eigentümer mag der bloße Erhalt eines technischen Denkmals, seine Pflege und Unterhaltung ohne weitergehende Nutzung, eine finanzielle Belastung und Überforderung bedeuten. - Für den Bürgermeister einer Stadt stellt sich die Frage nach der Bewertung des Denkmals für das Stadtbild oder einer Neuverwertung des Standorts. - Für den Bürger kann das Denkmal ein Wahrzeichen seiner Stadt sein und das Image prägen. - Für den ehemaligen Nutzer ist die industrielle Hinterlassenschaft meist ambivalent besetzt: Während sie zur Zeit der Nutzung die Blüte des wirtschaftlichen Aufschwungs und des technischen Fortschritts symbolisierte, ist sie heute zumeist mit dem Gedanken an Verluste verbunden: Verlust der Arbeit, Verlust der Anerkennung, des Lebensinhaltes, des Auskommens. Im besten Fall findet man Gleichgültigkeit dem Thema gegenüber vor. - Für den Investor mag der unverwechselbare Charme, das besondere Ambiente im Vordergrund stehen und damit verbunden die Chance einer erfolgversprechenden Investition.

 

Und für den Architekten?

 

Neben der rein baulichen und ingenieurtechnischen Ressource sind es m.E. auch ihre Deutungsebenen, die technische Denkmale für die Gesellschaft wertvoll machen. Der Architekt kann behilflich sein, gemeinsam mit der Denkmalpflege, den Genius loci zu entschlüsseln und ins Bewusstsein der öffentlichen Wahrnehmung zu rücken.

 

Hierbei gilt es über eine architektur- und kunstgeschichtliche Betrachtung hinaus zu einer ganzheitlichen Bewertung des Objektes innerhalb der Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte zu kommen. Ein differenziertes Verständnis zu der Eigenart und den Besonderheiten der Immobilie, zu ihrer lokalen und regionalen Relevanz bietet die beste Voraussetzung für eine authentische Weiterentwicklung und bedarfsgerechte Umnutzung.

 

Betrachten wir unter diesen Blickwinkel Ihre Stadt Bad Nauheim einmal etwas genauer. Wofür stehen die technischen Denkmale? Was waren die Leitbilder der Planung und Wertvorstellungen ihrer Erbauer?

 

Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein gründete unter mäzenatischer Förderung eine Künstler- und Werkstattkolonie bestehend aus Architektur, Kunsthandwerk und freien Künsten mit dem Ziel, Architektur und Gebrauchsgegenstände künstlerisch neu zu gestalten.

 

Eine eigenständige Stilrichtung, nämlich der Jugendstil, war sowohl Lebensreformbewegung als auch Begründer einer neuen Ästhetik. Er vermittelte regionale Identität und zog Gäste an. Auch für die Zweck- und Funktionsbauten der Kuranlagen wurde ein Anspruch an architektonische Formgebung formuliert. Sie wurden gezielt in das Stadtbild integriert, um als Zeichen einer bahnbrechenden modernen Technik wahrgenommen zu werden. Selbst der profane Versorgungszweck eines Wasserwerks wurde durch wehrhaft anmutende Aussichtstürme überhöht.

 

Der komplexe Gestaltungsanspruch, der vom (Kunst-)Handwerk über die Architektur und Ingenieurtechnik bis hin zum Städtebau disziplinenübergreifend reichte und vom Geist der Modernität und Innovation geprägt war, zahlte sich aus. Bad Nauheim erlebte u.a. dadurch seinen Strukturwandel vom Söderdorf zum weltweit anerkannten Herzheilbad. Die Stadt wurde zum Treffpunkt der Vornehmen der Welt. Die Kur zum gesellschaftlichen Ereignis, die Architektur zu ihrer Bühne.

 

Als Architektin werde ich fast ein wenig wehmütig, wenn ich verfolge, welchen Ansprüchen heute technische Bauten im Hinblick auf städtebauliche Orientierung oder architektonische Gestalt genügen. Welchen Detailreichtum auch in der Innenausstattung können wir uns heute noch leisten? Wo folgt der Städtebau heute künstlerischen Gesichtspunkten?

 

Alles nur eine Frage des Geldes oder eines kulturellen Bewusstseins?

 

Zur Rolle der Architekten gehört es, bei der baulichen Modernisierung von Denkmalen, die Interessen ihrer Bauherren zu vertreten, d.h. ihren Ansprüchen an eine zeitgemäße Nutzung, ihren gestalterischen Vorstellungen und wirtschaftlichen Überlegungen zu entsprechen.

 

Bauen ist aber immer auch eine öffentliche Angelegenheit. Somit sind Bauherren auch den Belangen der Allgemeinheit verpflichtet. Architekten sind daher immer gefordert, Zielkonflikte zwischen öffentlichen und privaten Vorstellungen im Sinne der Baukultur, bzw. im Sinne des Allgemeinwohls zum Ausgleich zu bringen.

 

Die Nutzung jedes Gebäudes unterliegt dem Wandel der Zeit. Gesellschaftliche, wirtschaftliche, soziale, technische Rahmenbedingungen ändern sich. Neue Nutzungen gilt es zu entwickeln und zu implementieren und als eigene gestalterische Zeitschicht ablesbar zu machen.

 

In zunehmenden Maße nimmt sich auch eine sensibilisierte Bürgerschaft Fehlentwicklungen und Leerständen an und entwickelt aus der lokalen Kenntnis heraus sehr individuelle bedarfs- und zeitgerechte Nutzungsideen.

 

Ich glaube, dass darin zukünftig ein wichtiger Schlüssel liegt. Nicht an der bloßen Delegation von Verantwortung an bürgerschaftliches Engagement, sondern an dem gemeinsamen Aufspüren von Nutzungsideen. Darin liegt eine gemeinschaftliche Aufgabe. Das sollte uns das baukulturelle Erbe wert sein.

 

Die Denkmalpflege muss sich dabei noch deutlicher als bisher als Anwalt für einfache, kreative und kostengünstige Erhaltungs- und Umnutzungslösungen positionieren. Zum gesellschaftlichen Erfolg von Denkmalpflege wird künftig ganz besonders das Denken in „projektentwicklerischen Netzwerken“ beitragen.

 

Friedrich Dürrenmatt schreibt in den 21 Punkten zu seiner Komödie „Die Physiker“: "Was alle angeht, können nur alle lösen.“

 

Ich bin der Meinung, dass technische Denkmale uns alle angehen, denn sie sind lebendiges Zeugnis einer Industrie- und Kulturgeschichte, die es zu begreifen, vermitteln und weiterzudenken gilt. Sie sind Identitätsanker in einer globalisierten Welt.

 

Bei Dürrenmatt heißt es weiter: „Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern." Insofern bin ich überzeugt, dass die Lösung der komplexen Aufgabe im Umgang mit technischen Denkmalen, nicht allein beim Eigentümer liegt, respektive liegen kann, sondern uns alle betrifft.

 

In diesem Sinne freue ich mich auf die nachfolgenden Statements, einen interessanten Diskurs und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.