DR. FRANZ GROEDEL

Das historische W.G. Kerckhoff-bzw. Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung, Parkstraße 1, Bad Nauheim, Foto: Beatrix van Ooyen
Das historische W.G. Kerckhoff-bzw. Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung, Parkstraße 1, Bad Nauheim, Foto: Beatrix van Ooyen

Das W.G. Kerckhoff-Institut, heute Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung, besteht seit 1931. Zum Direktor auf Lebenszeit ist Dr. Franz Groedel ernannt worden. Vor einigen Jahren hat die Max-Planck-Gesellschaft den Altbau des Instituts mit enormem finanziellen Aufwand sanieren lassen.

 

 

Ein Herzenswunsch geht in Erfüllung

 

von Lokalhistoriker Martin Fink

 

Wird über die glanzvolle Zeit des Weltbads Bad Nauheim gesprochen, fällt immer der Name Dr. Franz M. Groedel. Er gilt als der bedeutendste Mediziner, der in der Kurstadt tätig war. Der am 23. Mai 1881 geborene Groedel hätte in diesem Jahr seinen 140. Geburtstag gefeiert. Der berühmte Kardiologe musste 1933 in die USA emigrieren.

 

Franz M. Groedel vorzustellen heißt, »das Augenmerk auf einen Wissenschaftler, einen Arzt und einen Menschen zu richten, der in Deutschland in Vergessenheit zu geraten droht«, schrieb Prof. Martin Schlepper, ehemals Chefarzt der Kerckhoff-Klinik, 1988 in der Zeitschrift für Kardiologie. Wobei Schlepper wie kein anderer Groedels wissenschaftliche Leistung in der klinischen Anwendung glaubhaft zu würdigen wusste. Vieles scheint tatsächlich in Vergessenheit geraten, Fäden zur Gegenwart sind gerissen.

»Weltbad« dank jüdischer Ärzte.

 

Mit der Geschichte der Bad Nauheimer Juden hat sich authentisch Stephan Kolb in seinem 1987 erschienen Buch beschäftigt. Sein Fazit: Ohne die jüdischen Ärzte sei es undenkbar, dass Bad Nauheim zu dem geworden wäre, was es während seiner Blütezeit zwischen 1880 und 1935 war - »ein Weltbad mit internationaler Kurgastprominenz«.

 

Einige der von Historiker Kolb genannten 49 Ärzte waren in unmittelbarer Umgebung von Bad Nauheim geboren. Das galt auch für Dr. Isidor Groedel, dessen Familie, wie der Name ahnen lässt, aus Griedel bei Butzbach stammt. Der eine Sohn, Dr. Theodor Groedel, fiel im Ersten Weltkrieg, Sohn Nummer zwei, Dr. Franz Maximilian Groedel, war, wie Kolb schreibt, »unbestritten der bedeutendste Arzt der Badestadt«.

Zwei Ereignisse sind dafür besonders bedeutsam. 1927 gründete sich auf Initiative des Physiologen Bruno Kisch (Uni Köln) und des Bad Nauheimer Balneologen Arthur Weber die Deutsche Gesellschaft für Kreislaufforschung (DGK). Wissenschaftler und praktizierende Ärzte sollten eine Plattform des Austauschs haben. Sitz war Bad Nauheim. Dr. Franz Groedel, der als international anerkannter Arzt gute Kontakte im Ausland, unter anderem in den USA, pflegte, warb so auch für seinen Heimatort.

1929 kam es zum zweiten wichtigen Ereignis, das weitreichende Folgen für die Stadt Bad Nauheim und den Mediziner hatte. Die Witwe des kurz davor verstorbenen US-Geschäftsmanns William G. Kerckhoff, der Patient Groedels gewesen war, ließ beim Amtsgericht in Bad Nauheim eine Stiftung in ihrem und im Namen ihres Mannes eintragen. Groedels Herzenswunsch, ein Zentrum zur Erforschung und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sollte in Erfüllung gehen.

 

Freie Hand beim Bau des Instituts

 

Der Mediziner und Betreiber eines Sanatoriums sowie Architekt August Metzger sollten freie Hand haben, sowohl in der ästhetischen Gestaltung als auch in der technischen Ausstattung des Gebäudes. In der unteren Parkstraße, direkt an der Usa, entstand ein Prachtbau im deutsch-klassizistischen Stil. Kurz vor dem Kerckhoff-Institut war unter Metzgers Regie nicht weit entfernt das Balneologische Universitäts-Institut unter Leitung von Prof. Weber (1914 - 1955) errichtet worden. Feierlich eröffnet wurde das Kerckhoff- Institut 1931, Groedel wurde zum Direktor auf Lebenszeit ernannt.

Bisher ging man davon aus, dass der von der örtlichen NSDAP und dem »Aktionskomitee« organisierte »Juden-Boykott-Tag« am 1. April 1933 für den Entschluss Groedels, Deutschland zu verlassen, ausschlaggebend war. An diesem Tag wurden gezielt antisemitische Akzente gegen jüdische Geschäfte, Anwälte und Ärzte gesetzt, wovon auch Groedel und sein Sanatorium betroffen waren. 1945 schrieb Groedel sehr verbittert über die damaligen Zustände an den ersten Nachkriegs-Bürgermeister Adolf Bräutigam (SPD), der den Mediziner nach Bad Nauheim zurückholen wollte. »Die persönlichen Anfeindungen, denen er sich ausgesetzt sah, richteten sich auch gegen seine Funktion als Direktor des Kerckhoff-Instituts«, sagte Liesel Fritzel, langjährige Assistentin von Groedel, in einem Gespräch mit Stephan Kolb.

Nach Erkenntnissen des Historikers Timo Baumann, der 2017 den Auftrag erhalten hatte, die Geschichte der DGK im Lichte des Nationalsozialismus aufzuarbeiten und darzustellen, waren die Geschehnisse am 1. April 1933 für Groedel jedoch nicht der plötzliche Wendepunkt, sondern das Ende einer schon länger dauernden Wandlungsphase.

 

Link zur Wetterauer Zeitung, 02.06.2021

www.wetterauer-zeitung.de/wetterau/herzenswunsch-geht-in-erfuellung-90785239.html

 

 

Verbittert ins Exil

 

 

von Lokalhistoriker Martin Fink

 

Wird über die glanzvolle Zeit des Weltbads Bad Nauheim gesprochen, fällt stets der Name Dr. Franz Groedel. Er gilt als der bedeutendste Mediziner, der in der Kurstadt tätig war. Der am 23. Mai 1881 geborene Groedel hätte in diesem Jahr seinen 140. Geburtstag gefeiert. Aus diesem Anlass blickt der Bad Prof. Franz Groedel wanderte um den 1. Oktober 1933 nach New York aus. Seine Mutter Rosa soll Deutschland kurz nach der sogenannten Machtergreifung der Nazis Richtung USA verlassen haben.

 

Rückkehr-Bitte zweimal abgelehnt

 

In dem bereits in Teil eins erwähnten Brief an den ersten Nachkriegs-Bürgermeister Bad Nauheims, Adolf Bräutigam (SPD), schrieb Groedel unter anderem: »Die Jahre 1930 bis 1932 machen allerdings eine Ausnahme. In diesen Jahren fand ich, während ich das Kerckhoff-Institut aufbaute, soviel Anfeindung und Charakterlosigkeit seitens der Regierung, gewisser Behörden und seitens einzelner Personen, dass es mir schwerfiel, das Werk zu Ende zu führen (…). Diese drei zermürbenden Jahre können nicht vergessen werden.«

 

Bräutigam hatte sich 1945 an Groedel gewandt, um ihn zur Rückkehr zu bewegen. Doch der Mediziner lehnte ab. Im Entnazifizierungsverfahren 1947 nannte Bräutigam den Arzt Karl Barth, der die Hauptschuld am Gang Groedels ins Exil trage. »Dieser im In- und Ausland hochgeschätzte Herzforscher musste nach Amerika auswandern und ging so für Bad Nauheim verloren.« Barth soll in vorderster Linie gestanden haben, als die Aktion der Nazis gegen Groedel einsetzte.

 

Nur schwer durchschaubar ist die Rolle, die Groedels Stellvertreter am Kerckhoff-Institut, Eberhard Koch, spielte. Er übernahm 1933 quasi die Leitung der Forschungseinrichtung, auch wenn Groedel auf dem Papier weiter Direktor blieb, da er 1931 »auf Lebenszeit« ernannt worden war. Groedel hatte Koch zunächst vertraut. Wie Koch 1940 gegenüber dem Kuratorium der Kerckhoff-Stiftung erklärt haben soll, sei bei ihm nach einiger Zeit im Institut die Überzeugung gewachsen, dass diese Einrichtung nur zur »Reklame« für Groedels Sanatorium diene. Auch habe er erst nach einiger Zeit erfahren, dass Groedel Jude sei.

Franz Groedel war bereits im Jahr 1910 als Jude zum Christentum übergetreten. Auch sein Vater war Christ. »Eine geradezu verhängnisvolle Rolle spielte ein evangelischer Pfarrer (Hermann Knoth, Anm. des Verf.), der bei den Vorbereitungen des lokalen Boykottausschusses die Groedels einbezogen haben wollte. Als sich verhaltene Proteste einiger Bürger gegen etwaige Aktionen vor dem Hause Groedel wegen des Umstands erhoben, dass Groedel doch kein Jude mehr sei, unterdrückte der Pfarrer diese Einwände mit dem Ausruf: ›Ein Taufschein liegt hier nicht vor.‹ Darauf wurden auch die bereits getauften Juden in die Boykottaktion einbezogen.« Das schreibt Stephan Kolb in seinem Buch »Die Geschichte der Bad Nauheimer Juden«.

 

In Bad Nauheim fast vergessen

 

Nicht nur Bürgermeister Bräutigam (1945-1948) wusste, dass Bad Nauheim Groedel braucht, um weiterhin wissenschaftliche Bedeutung und internationale Beachtung zu haben. Bürgermeister Dr. Karl Ahl (1927-1935) hatte schon in der Frühphase der Nazi-Diktatur versucht, den Mediziner zur Rückkehr zu bewegen.

Stifterin Luise F. Kerckhoff, die 1929 das Geld für den Bau des Instituts an der Usa bereitgestellt hatte, sah wohl aufgrund der politischen Verhältnisse das Ende des gemeinsamen Werks schon früh kommen. Der Arzt und Wissenschaftler war empfindlich getroffen, als Kerckhoff 1946 starb und ihre Erben Bad Nauheim nicht mehr mit Geld bedachten. Nur so hätte die weitere Selbständigkeit des Instituts gesichert werden können. Als Rettungsanker erwies sich die Übernahme des Instituts durch die Max-Planck-Gesellschaft 1951, im Todesjahr von Dr. Franz Groedel.

Der Mediziner hatte, obwohl in den USA abermals klinisch wie wissenschaftlich erfolgreich, seine Präsenz in Bad Nauheim völlig verloren. Und dies, als er auf dem Höhepunkt seines Erfolgs war. Er starb in den USA. Sein letzter Wunsch war, seine letzte Ruhe in einer Stadt zu finden, die ihn einst vertrieben hatte.

In den folgenden Jahrzehnten gerieten Franz Groedel und andere Persönlichkeiten, die von den Nazis vertrieben oder ermordet worden waren, in Bad Nauheim fast in Vergessenheit. Erst durch die Recherchen von Stephan Kolb und des Engagement von Bürgermeister Bernd Rohde wurde dieser Teil der lokalen Historie wieder stärker in den Fokus gerückt. Das galt vor allem für die Rolle von Franz Groedel, dessen Namen ein Forschungsinstitut der Kerckhoff-Klinik und eine Straße tragen.

Nauheimer Lokalhistoriker Martin Fink in einem zweiteiligen Beitrag auf das Wirken des berühmten Kardiologen zurück. Im heutigen zweiten Teil geht es um die Gründe für Groedels Emigration in die USA.

Blieb seiner Heimatstadt emotional eng verbunden: Franz Groedel.

 

Link zur Wetterauer Zeitung, 05.06.2021

www.wetterauer-zeitung.de/wetterau/verbittert-ab-ins-exil-90789765.html

 

1931: Dr. Franz Groedel und Louise Kerckhoff auf den Stufen zur Vorlesungshalle des W.G. Kerckhoff-Instituts am Tage der Einweihungsfeier, Foto: Kerckhoff-Stiftung
1931: Dr. Franz Groedel und Louise Kerckhoff auf den Stufen zur Vorlesungshalle des W.G. Kerckhoff-Instituts am Tage der Einweihungsfeier, Foto: Kerckhoff-Stiftung
Gäste eilen zur Einweihungsfeier des W.G. Kerckhoff-Instituts 1931, Foto: Digitale Leihgabe Dr. Gerhard Martin
Gäste eilen zur Einweihungsfeier des W.G. Kerckhoff-Instituts 1931, Foto: Digitale Leihgabe Dr. Gerhard Martin