100 JAHRE RUNDFUNK

VON HANA VON PROSCH, 27.01.2024

Bad Nauheim schreibt Rundfunkgeschichte

Anfänge von „Radio Frankfurt“ im Hotel Terrassenhof

 

100 Jahre Rundfunk in Deutschland, 75 Jahre Hessischer Rundfunk (hr). Das sind denkwürdige Ereignisse. Auch Bad Nauheim spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn aus dem ehemaligen Hotel Terrassenhof wird bereits vor Kriegsende das Reichsprogramm gesendet. 1945 baut sich hier das Programm von Radio Frankfurt neu auf. Wir werfen einen Blick ins Archiv des hessischen Rundfunks.

 

„Achtung! Achtung! Hier Sendestelle Berlin im Vox-Haus auf Welle 400“: Das klingt in den Ohren, als am 29. Oktober vergangenen Jahres 100 Jahre Rundfunkgeschichte in Deutschland gefeiert wird. 1923 wird auch die Südwestdeutsche Rundfunkdienst AG gegründet, zu der die hessische Funkgesellschaft gehört. Nach Berlin, Leipzig und München beginnt am 1. April 1924 in Frankfurt der Sendebetrieb aus dem Postscheckamt.

 

Schon wenige Jahre später hört man Vorträge der Bad Nauheimer Ärzteschaft über den Äther. Und als die Aufnahme- und Übertragungstechnik besser wird, können live Kurkonzerte gesendet werden. Bei einem der ersten, am 12. Mai 1930, spielt die Meininger Landeskapelle unter der Leitung von Heinz Bongartz Werke von Wagner, Weber, Liszt und Mussorgskij. Vielleicht waren die Erfahrungen so gut, dass 1942 der damalige Intendant Ludwig Fries auf den Standort Bad Nauheim zurückgreift.

 

Er fürchtet die Zerstörung des Frankfurter Senders und bereitet die Verlegung des Sendebetriebs in das dafür beschlagnahmte Hotel Terrassenhof vor. Hier werden die erforderliche Technik, Sprecherräume und ein kleines Studio eingerichtet. Im stillgelegten Hotel Auguste Viktoria kommen Kasino, Archiv und Rundfunkbücherei sowie Wohnungen unter. „Aus dem großen Konzert- und Theatersaal und zwei weiteren Konzertsälen können Symphonieorchester, Tanzkapelle und Unterhaltungsorchester schalldicht gegeneinander isoliert arbeiten“, ist in den Unterlagen zu lesen.

 

Versuchsweise und aus Sicherheitsgründen werden bereits Konzerte des Großen Rundfunkorchesters von Bad Nauheim aus gesendet. Berühmte Gast-Dirigenten wie Carl Schuricht kommen in die Kurstadt.

 

Am 22. März 1944 fallen die Bomben

 

Die Vorsorge zahlt sich aus, denn am 22. März 1944 wird das Frankfurter Funkhaus tatsächlich von Bomben schwer beschädigt. Wenige Wochen vor Kriegsende wird das Reichsprogramm über den Hauptsender Frankfurt und den Nebensender Kassel eingestellt. Die deutsche Wehrmacht zerstört die Sender.

 

Nach der Kapitulation beginnt am 1. Juni 1945 eine neue Ära. Der Sender heißt „Radio Frankfurt“ und steht unter der Kontrolle der amerikanischen Militärregierung. Gesendet wird aus den provisorischen Studios im Terrassenhof. 15 Amerikaner und ein Dutzend Deutsche beginnen mit dem Wiederaufbau von Programm, Technik und Verwaltung. Die "Umschau zwischen Rhein und Main sowie der benachbarten Gebiete" ist die erste aktuelle Nachkriegssendung, die wieder von einer deutschen Redaktion gestaltet wird. Programmübernahmen von Radio Luxemburg, der BBC und „Die Stimme Amerikas“ füllen Lücken im Programm.

 

Im September gibt das mit Hilfe der Militärregierung gegründete Oberhessische Symphonie-Orchester unter Leitung von Hans Blümer sein erstes Konzert aus dem großen Saal des Kurhauses von Bad Nauheim. Als Lizenziat und Musikbeauftragter für Bad Nauheim wirkt der Mitbegründer und Musiker Albert Grasemann. Es dauert noch bis Februar 1946, bis in Frankfurt das Rundfunkgebäude in der Eschersheimer Landstraße notdürftig aufgebaut ist, um von dort wieder einen regulären Rundfunkbetrieb zu starten. Die Programmgestaltung unterliegt der Zensur amerikanischer Kontrolloffiziere, zu denen unter anderem Golo Mann gehört. Der Sendeort Bad Nauheim ist damit Geschichte.

 

Schlager, Hörspiel, Sprachunterricht

 

Das Radio ist in der Nachkriegszeit die wichtigste Informationsquelle. Mitte 1946 besteht das Programm knapp zur Hälfte aus Musik und Unterhaltung, zu einem Viertel aus Nachrichten und Zeitgeschehen, der Rest aus Übernahmen. So gibt es „Die Rundschau aus dem Hessenland“, „Der Hessische Landbote“, „Radio Frankfurt unterwegs“, ein Jugend-, Literatur-, klassisches Musik- und Kulturprogramm, Hörspiel, englischen Sprachunterricht und ein polnisches Programm mehrmals täglich. In diesem Jahr wird auch die hr-Bigband als „Tanzorchester von Radio Frankfurt“ gegründet.

 

Die Geburtsstunde des heutigen hr ist am 2. Oktober 1948, als der Landtag das „Gesetz über den Hessischen Rundfunk“ verabschiedet. Am 28. Januar 1949, vor 75 Jahren, erhält Intendant Eberhard Beckmann von US-General Lucius D. Clay die Sendelizenz. Erst 1951 bezieht der hr den Neubau am Dornbusch.

 

 

Vom Parlamentsrohbau zur Schwarzhörerermittlung

 

Das hr-Gebäude am Dornbusch wurde eigentlich als Sitz des deutschen Bundestags gebaut. Doch der Parlamentarische Rat entschied sich nicht für Frankfurt sondern für Bonn. Ursprünglich hätte der sogenannte Rundbau, in dem bis 1999 die Hörfunkstudios untergebracht waren, Plenarsaal werden sollen. Die denkmalgeschützte „Goldhalle“, heute Foyer zum Sendesaal, war als Vorhalle gedacht.

 

1950 waren in Hessen bereits 700000 Rundfunkgeräte angemeldet. Es gab 1306 Zusatzgenehmigungen für den Autoradioempfang. Die Rundfunkgebühr betrug zwei Mark, unabhängig davon, ob Hörstellen benutzt wurden oder nicht. Mit der Einführung des Ersten Fernsehprogramms 1954 galt eine Gesamtgebühr von 7 Mark. Für ein Autoradio zahlte man 50 Pfennig und zusätzlich eine „Kulturabgabe“ von 5 Pfennig. Um „Schwarzhörer“ zu entlarven, fuhren moderne Ermittlungswagen mit Schwarzhörer-Suchgeräten durch die Straßen, die eingeschaltete Rundfunkempfänger erkennen konnten.

 

zurück